Erlebnisort / Erlebniswelt
„Einen Erlebnisort 1 eine Erlebniswelt zu schaffen und sie in einen besonders starken Rahmen zu setzen war die Herausforderung der Aufgabe. Der geschlossene, wie eine Höhle wirkende Raum über dem Wienfluß ist eine Unterwelt in der Stadt - eine Terra lncognita mitten unter uns. Sie zu entdecken bedarf es besonderer Wahrnehmungshilfen. Das Terrain, auf dem wir in Ergründungsfahrt gehen ermöglicht es, einen Schwebezustand zu erreichen, der uns die Oberwelt ver-gessen macht, Träume weckt, Lust macht. Ein unterirdischer Ort ,,locus subterraneus" ein Sammelplatz derjenigen Seelen, die sich in einem mittleren Zustand zwischen Glückseligkeit und Verdammnis befin-den. (aus: Enchiridion des heiligen Augustin Kapitel 109) Hinter jeder Kurve eröffnen sich neue Einblicke mit unter-schiedlichen Attraktionen. Die Unterwelt war immer auch Fluchtort der Städter, ein zeitloser Ort mit anderen Gesetzmäßigkeiten von Licht und Schatten, von Tag und Nacht. Während das Häuserlabyrinth der Stadt als Analogie des Bewußtseins figuriert, ist die Unterwelt das Unbewußtsein. Das Bewußtsein ist ein ,,Land, in dem es an verborgenen Stellen indie Unterwelt hinabgeht, voll unscheinbarer Örter, wo die Träumemünden" (Roger Thiel). Die städtische Unterwelt als Unterbewußtseinder Stadt und damit eine Art kollektiven Unterbewußtseins - sie zuergründen, stellt eine magische Reise dar. Die Beschäftigung mitdiesem Thema kommt auch in Jorge Luis Borges dichterischem Werk zum Ausdruck:es hier fin-det sich eine kostbare Sammlung von Höhlengleichnissen: Sein Universum ist das unendlich sich wiederholende Interieur einer Bibliothek, seine Stadt ein piranesisches Labyrinth ohne Mitte undRand, sein Patio ein stiller in dem sich Himmelshöhe und Brunnentiefe,Licht und Wasser begegnen, wo sich im repetierenden Schattenverlauf der Tages- und Jahreszeiten die Erinnerungen (Er-Innerung) ansammeln und einschreiben. Vom grenzenlosen Inneren des Universums bis unter die Schädeldecke erstreckt sich die Welt als eine Abfolge von Höhlen in Höhlen - und jedes Draußen ist wieder ein Drinnen. (Gerhard Auer über Borges) Ziel des Entwurfes ist es, die Einzigartigkeit eines 2,4 km langen Raumes als Einheit erlebbar zu gestalten. Durch eine Doppelungder halbrunden fließenden Deckenformation des Tunnels mittels einerneuen - eine zweite Ebene bildenden ,,Schlange" - setzt sich die Stadt nachunten hin in nunmehr mehreren Schichten fort. Weitere Schichtungen ins Erdinnere hinein werden für den Betrachter vorstellbar. Der Tunnel wird zur unterirdischen Stadt. Der Empirist und Sensualist Edmund Burke veröffentlichte 1757 seine Untersuchung vom Erhabenen und Schönen, die für alle folgenden Kunsttheorien einflußreich werden sollte. Er unterscheidet eine bloß gefällige, angenehme und deshalb essentiellen Erhabenheit, die folgende Bedingungen zu erfüllen habe: Riesigkeit, Überhelligkeit oder Finsternis, trübe oder bleiche Farblosigkeit, Bitterkeit in Geschmack und Geruch, Plötzlichkeit bis Schmerzhaftigkeit der Gegensätze. ...der Suggestionsauftrag, Schauer zu erregen, erhabe-ne Gefühle zu wecken, nicht bloß der Erbauung sondern der Erregung zu dienen; freilich nicht über die Grenzen der Angstlust hinaus, denn das Schreckliche ist nur ästhetisch solange es aus sicherer Entfernung genossen wird. Die Erdoberfläche ist ihm kein Aufbaugrund mehr, sondern Spiegelungsebene vertikaler Operationen; sein Bauwerk ist kein standfester Turm, sondern eine schwimmende Sonde." Der Wientunnel ist ein Ort, an dem sich die Widersprüchlichkeit von Fläche und Körper erleben läßt, wo nicht mehr klar ist, wo Innen und Außen ist. Er ist eine Erlebnisort neuer Dimension, in dem nicht durch mechani-sche Geschwindigkeitserzeuger ein Erlebnis erzeugt wird, sondern durch die Schaffung eines einmaligen Raumes. Der Betrachter ist hier gefordert, selbst zu erleben. Die verschiedenen Ebenen dienen als Projektionsflächen des Betrachters, sein Standpunkt, seine Bewegungermög-lichen immer wieder neue Figuren und Räume. ,,Das Flüssigein der Architektur bedeutet nicht nur das Hervorbringen der Geometrie desFließenden und des Turbulenten, es bedeutet auch die Auflösungalles festen und kristallinen. Das fließende Verschmelzen von Handlungund Form, die man Interaktion nennt, weil der Ort der Aktion zwischen Objektund Subjekt liegt, geht aus von der ortogonalen Basis der Wahrnehmung mitder Horizontalität des Bodens und der Vertikalität des Fensters.Durch die Verschmelzung von Boden und Wand, durch Verschmelzen von Bodenund Bildschirm, Oberfläche und Interface geben wir das mechanische Bilddes Körpers auf für eine plastischere, flüssigere und haptischereVersion, in der Aktion und Vision synthetisiert sind." (Zitat Spuybroek) Konstruktion und Nutzung Enstprechend dem Verlauf der Wien entsteht in west-östli-cher Richtung eine ergonomische Topographie, die das Durchwandern des Tunnelsdurch dessen Mitte erlaubt. Im westlichen sowie im östlichen Eingangsbereich des Tunnels befindet sich jeweils ein Cafe, das eine Vorahnung desjenigen gibt, was im Tunnel passiert. Die Mitte des Tunnels mit einer Rolltreppe als Ein- undAusgang bilden die Kultureinrichtungen des Kanaleums (Kanal- und Wassermuseum)und die Erweiterung der Kunsthalle. Westlich dieses Kulturbereiches befindet sich ein Restaurantkomplex für Erlebnisgastronomie. Östlich schließt sich ein Nachtclub- und Discobereich an, sowie eine Bar. Die ,,Schlange" wird aus Ortbeton hergestellt - in den Bereichen, wo sie nicht unterhöhlt ist wird sie mit Magerbeton verfüllt. Da wir mit geringen Spannweiten arbeiten, ist armierter Beton ein günstiger Baustoft. Die Bebauung des Tunnelgrundes ist im Vergleich zu einer Kasemattenlösung deutlich preiswerter, da der erhöhte Aufwand für eine hängende Konstruktion unterbleibt. Durch diese konventionelle Bauweise und das von uns vorgese-hene Nutzungsprogramm ist daher auch davon auszuge-hen, daß sich die notwendigen Investitionen für den Umbau des Tunnelbereiches durch Pachterträge wieder amortisieren. Das Bauwerk ist grundsätzlich überlauf- und überfahrbar, die stärksten Neigungen sind 6 - 7 %. In den Bereichen, wo diese Neigung überschritten wird, werden Geländer vorgesehen. Die Zugänge zu den Nutzungsbereichen, sowie deren Fenster werden im Falle von Hochwasser durch seitlich angebrachte Schotten abgeschlossen. Die von uns vorgesehenen Kubaturen ermöglichen auch bei höchstem Hochwasserstand ein Durchfließen der Wassermassen durch den Tunnel. Die vier sich im Tunnel befindenden Nutzungsbereiche ver-fügen über Lieferaufzüge für ihren täglichen Bedarf. Zusätzlich gibt es im gesamten Tunnelbereich im Abstand von 50 Metern Fluchttüren, die in Notfallsituationen den schnellstmöglichen Zugang zur Straßenebene sicherstel-len. Der eigentliche öffentliche Zugang über die beiden Tunnelöffnungen hinaus befindet sich - wie bereits oben erwähnt - im Bereich des Karlsplatzes. Der direkte Anschluß an das öffentliche Nahverkehrssystem (U-Bahn, Straßenbahn) ist an dieser Stelle gegeben. Zusätzliche Nutzungen im Tunnel Der Tunnel eignet sich durch seine Installationen für ver-schiedenstartige Nutzungen von Projektionen über künstle-rische Ausgestaltungen und Ausstellungen bis hin zu Produktpräsentationen für die Industrie, Modenschauen zirkusartigen Präsentationen, Fahrradrennen, Flohmarkt und vielem mehr. Der Vorteil besteht darin, daß dem Besucher beim Durchwandern des Tunnels in verschiede-nen Abständen immer wieder Angebote zum kulturellen Genuß oder zum Ausruhen und Entspannen gemacht wer-den. Man kann für einen ganzen Tag in den Tunnel eintau-chen, oder sich nur für einige Augenblicke dort aufhalten. Tunnelevents könnten gerade in der verregneten Jahreszeit, in der es noch nicht zu kalt ist, das Veranstaltungsprogramm der Stadt bereichern. Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten mehr das Dunkel als das Licht. aus: Johannes 3, 19 (Neues Evangelium)“ |
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