Büro für Garten und Landschaftsplanung
TOPOTEK 1
D-10178 Berlin
Mitarbeiter:
Moritz Schloten, Lorenz Dexler, Inga Hahn,
Ralph Imbery, Sebastian Hauser, Adrian Klein
"AIle gänzlichen Privationen haben etwas Großartiges,
weil sie alleschrecklich sind: Leere, Finsternis, Einsamkeit, Schweigen".
„Einen Erlebnisort 1 eine Erlebniswelt zu schaffen und
sie in einen besonders starken Rahmen zu setzen war die Herausforderung
der Aufgabe.
Der geschlossene, wie eine Höhle wirkende Raum über
dem Wienfluß ist eine Unterwelt in der Stadt - eine Terra lncognita
mitten unter uns. Sie zu entdecken bedarf es besonderer Wahrnehmungshilfen.
Das Terrain, auf dem wir in Ergründungsfahrt gehen ermöglicht
es, einen Schwebezustand zu erreichen, der uns die Oberwelt ver-gessen
macht, Träume weckt, Lust macht.
Ein unterirdischer Ort ,,locus subterraneus" ein Sammelplatz derjenigen
Seelen, die sich in einem mittleren Zustand zwischen Glückseligkeit
und Verdammnis befinden. (aus: Enchiridion des heiligen Augustin Kapitel
109) Hinter jeder Kurve eröffnen sich neue Einblicke mit unter-schiedlichen
Attraktionen. Die Unterwelt war immer auch Fluchtort der Städter,
ein zeitloser Ort mit anderen Gesetzmäßigkeiten von Licht und
Schatten, von Tag und Nacht. Während das Häuserlabyrinth der
Stadt als Analogie des Bewußtseins figuriert, ist die Unterwelt
das Unbewußtsein. Das Bewußtsein ist ein ,,Land, in dem es
an verborgenen Stellen indie Unterwelt hinabgeht, voll unscheinbarer Örter,
wo die Träumemünden" (Roger Thiel).
Die städtische Unterwelt als Unterbewußtseinder
Stadt und damit eine Art kollektiven Unterbewußtseins - sie zuergründen,
stellt eine magische Reise dar. Die Beschäftigung mitdiesem Thema
kommt auch in Jorge Luis Borges dichterischem Werk zum Ausdruck:es hier
fin-det sich eine kostbare Sammlung von Höhlengleichnissen:
Sein Universum ist das unendlich sich wiederholende Interieur
einer Bibliothek, seine Stadt ein piranesisches Labyrinth ohne Mitte undRand,
sein Patio ein stiller in dem sich Himmelshöhe und Brunnentiefe,Licht
und Wasser begegnen, wo sich im repetierenden
Schattenverlauf der Tages- und Jahreszeiten die Erinnerungen
(Er-Innerung) ansammeln und einschreiben.
Vom grenzenlosen Inneren des Universums bis unter die Schädeldecke
erstreckt sich die Welt als eine Abfolge von Höhlen in Höhlen
- und jedes Draußen ist wieder ein Drinnen. (Gerhard Auer über
Borges)
Ziel des Entwurfes ist es, die Einzigartigkeit eines 2,4 km
langen Raumes als Einheit erlebbar zu gestalten. Durch eine Doppelungder
halbrunden fließenden Deckenformation des Tunnels mittels einerneuen
- eine zweite Ebene bildenden ,,Schlange" - setzt sich die Stadt nachunten
hin in nunmehr mehreren Schichten fort. Weitere Schichtungen ins Erdinnere
hinein werden für den Betrachter vorstellbar. Der Tunnel wird zur
unterirdischen Stadt.
Der Empirist und Sensualist Edmund Burke veröffentlichte
1757 seine Untersuchung vom Erhabenen und Schönen, die für alle
folgenden Kunsttheorien einflußreich werden sollte. Er unterscheidet
eine bloß gefällige, angenehme und deshalb essentiellen Erhabenheit,
die folgende Bedingungen zu erfüllen habe: Riesigkeit, Überhelligkeit
oder Finsternis, trübe oder bleiche Farblosigkeit, Bitterkeit in
Geschmack und Geruch, Plötzlichkeit bis Schmerzhaftigkeit der Gegensätze.
...der Suggestionsauftrag, Schauer zu erregen, erhabe-ne Gefühle
zu wecken, nicht bloß der Erbauung sondern der Erregung zu dienen;
freilich nicht über die Grenzen der Angstlust hinaus, denn das Schreckliche
ist nur ästhetisch solange es aus sicherer Entfernung genossen wird.
Die Erdoberfläche ist ihm kein Aufbaugrund mehr, sondern Spiegelungsebene
vertikaler Operationen; sein Bauwerk ist kein standfester Turm, sondern
eine schwimmende Sonde."
Der Wientunnel ist ein Ort, an dem sich die Widersprüchlichkeit
von Fläche und Körper erleben läßt, wo nicht mehr
klar ist, wo Innen und Außen ist. Er ist eine Erlebnisort neuer
Dimension, in dem nicht durch mechani-sche Geschwindigkeitserzeuger ein
Erlebnis erzeugt wird, sondern durch die Schaffung eines einmaligen Raumes.
Der Betrachter ist hier gefordert, selbst zu erleben. Die verschiedenen
Ebenen dienen als Projektionsflächen des Betrachters, sein Standpunkt,
seine Bewegungermög-lichen immer wieder neue Figuren und Räume.
,,Das Flüssigein der Architektur bedeutet nicht nur das Hervorbringen
der Geometrie desFließenden und des Turbulenten, es bedeutet auch
die Auflösungalles festen und kristallinen. Das fließende Verschmelzen
von Handlungund Form, die man Interaktion nennt, weil der Ort der Aktion
zwischen Objektund Subjekt liegt, geht aus von der ortogonalen Basis der
Wahrnehmung mitder Horizontalität des Bodens und der Vertikalität
des Fensters.Durch die Verschmelzung von Boden und Wand, durch Verschmelzen
von Bodenund Bildschirm, Oberfläche und Interface geben wir das mechanische
Bilddes Körpers auf für eine plastischere, flüssigere und
haptischereVersion, in der Aktion und Vision synthetisiert sind." (Zitat
Spuybroek)
Konstruktion und Nutzung
Enstprechend dem Verlauf der Wien entsteht in west-östli-cher
Richtung eine ergonomische Topographie, die das Durchwandern des Tunnelsdurch
dessen Mitte erlaubt. Im westlichen sowie im östlichen Eingangsbereich
des Tunnels befindet sich jeweils ein Cafe, das eine Vorahnung desjenigen
gibt, was im Tunnel passiert.
Die Mitte des Tunnels mit einer Rolltreppe als Ein- undAusgang
bilden die Kultureinrichtungen des Kanaleums (Kanal- und Wassermuseum)und
die Erweiterung der Kunsthalle.
Westlich dieses Kulturbereiches befindet sich ein Restaurantkomplex
für Erlebnisgastronomie. Östlich schließt sich ein Nachtclub-
und Discobereich an, sowie eine Bar.
Die ,,Schlange" wird aus Ortbeton hergestellt - in den Bereichen,
wo sie nicht unterhöhlt ist wird sie mit Magerbeton verfüllt.
Da wir mit geringen Spannweiten arbeiten, ist armierter Beton ein günstiger
Baustoft. Die Bebauung des Tunnelgrundes ist im Vergleich zu einer Kasemattenlösung
deutlich preiswerter, da der erhöhte Aufwand für eine hängende
Konstruktion unterbleibt. Durch diese konventionelle Bauweise und das
von uns vorgese-hene Nutzungsprogramm ist daher auch davon auszuge-hen,
daß sich die notwendigen Investitionen für den Umbau des Tunnelbereiches
durch Pachterträge wieder amortisieren.
Das Bauwerk ist grundsätzlich überlauf- und überfahrbar,
die stärksten Neigungen sind 6 - 7 %. In den Bereichen, wo diese
Neigung überschritten wird, werden Geländer vorgesehen.
Die Zugänge zu den Nutzungsbereichen, sowie deren Fenster
werden im Falle von Hochwasser durch seitlich angebrachte Schotten abgeschlossen.
Die von uns vorgesehenen Kubaturen ermöglichen auch bei
höchstem Hochwasserstand ein Durchfließen der Wassermassen
durch den Tunnel.
Die vier sich im Tunnel befindenden Nutzungsbereiche ver-fügen
über Lieferaufzüge für ihren täglichen Bedarf. Zusätzlich
gibt es im gesamten Tunnelbereich im Abstand von 50 Metern Fluchttüren,
die in Notfallsituationen den schnellstmöglichen Zugang zur Straßenebene
sicherstel-len.
Der eigentliche öffentliche Zugang über die beiden
Tunnelöffnungen hinaus befindet sich - wie bereits oben erwähnt
- im Bereich des Karlsplatzes. Der direkte Anschluß an das öffentliche
Nahverkehrssystem (U-Bahn, Straßenbahn) ist an dieser Stelle gegeben.
Zusätzliche Nutzungen im Tunnel
Der Tunnel eignet sich durch seine Installationen für
ver-schiedenstartige Nutzungen von Projektionen über künstle-rische
Ausgestaltungen und Ausstellungen bis hin zu Produktpräsentationen
für die Industrie, Modenschauen zirkusartigen Präsentationen,
Fahrradrennen, Flohmarkt und vielem mehr. Der Vorteil besteht darin, daß
dem Besucher beim Durchwandern des Tunnels in verschiede-nen Abständen
immer wieder Angebote zum kulturellen Genuß oder zum Ausruhen und
Entspannen gemacht wer-den. Man kann für einen ganzen Tag in den
Tunnel eintau-chen, oder sich nur für einige Augenblicke dort aufhalten.
Tunnelevents könnten gerade in der verregneten Jahreszeit, in der
es noch nicht zu kalt ist, das Veranstaltungsprogramm der Stadt bereichern.
Das Licht kam in die Welt, und die Menschen liebten mehr das
Dunkel als das Licht.
aus: Johannes 3, 19 (Neues Evangelium)“
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